Nach Jahren des Versteckspiels machte Abu Mohammad al-Jolani einen großen Schritt nach vorn, als er den schockierenden Blitzangriff befehligte, der zum Ende des Regimes von Präsident Bashar al-Assad in Syrien führte.

Der 42-jährige al-Jolani ist der Anführer von Hayat Tahrir al-Sham, einer islamistischen Gruppe, die einst mit Al-Qaida in Verbindung stand und während der langen Pattsituation des Konflikts jahrelang den Großteil der Provinz Idlib im Nordwesten Syriens kontrollierte.

„Er ist bei weitem die wichtigste Figur vor Ort in Syrien“, sagte Jerome Drevon, ein leitender Analyst für moderne Konflikte bei der International Crisis Group, der Herrn al-Jolani in den letzten fünf Jahren mehrmals getroffen hat.

Ende November startete Hayat Tahrir al-Sham die bedeutendste Offensive gegen das Assad-Regime seit einem Jahrzehnt. Die Rebellen drangen in Aleppo, der größten Stadt Syriens, ein, bevor sie weiter nach Süden zogen und Gebiete in mehreren Provinzen eroberten, ohne auf größeren Widerstand zu stoßen.

Am 8. Dezember feierten die Rebellen in der syrischen Hauptstadt Damaskus und erklärten, sie sei von Herrn al-Assad „befreit“ worden. Nach Angaben des russischen Außenministeriums verließ der langjährige syrische Führer Syrien nach Verhandlungen mit „einigen Parteien des bewaffneten Konflikts“. Russland hat Herrn Assad Asyl gewährt.

Der in Saudi-Arabien als Ahmed Hussein al-Shara geborene al-Jolani ist arabischen Medien zufolge der Sohn syrischer Exilanten. In den späten 1980er Jahren zog seine Familie zurück nach Syrien und 2003 ging er in den benachbarten Irak, um sich Al-Qaida anzuschließen und gegen die Vereinigten Staaten zu kämpfen.

Arabischen Medienberichten und Berichten US-amerikanischer Behörden zufolge verbrachte er Jahre in einem US-Gefängnis im Irak.

Er tauchte dann zu Beginn des Bürgerkriegs in Syrien auf und gründete die Nusra-Front, einen Al-Kaida-Ableger, aus dem sich schließlich Hayat Tahrir al-Sham entwickelte. Irgendwann nahm er das Pseudonym Abu Mohammad al-Jolani an.

Seit sie ihre Verbindungen zu Al-Qaida abgebrochen haben, versuchen Herr al-Jolani und seine Gruppe, internationale Anerkennung zu erlangen, indem sie sich von der globalen dschihadistischen Bewegung distanzieren und sich auf eine organisierte Regierungsführung in Syrien konzentrieren.

In den vergangenen Jahren haben Al-Jolani und seine Gruppe in dem von ihnen kontrollierten Gebiet eine Verwaltung aufgebaut, die Steuern eintreibt, begrenzte öffentliche Dienstleistungen bereitstellt und den Einwohnern sogar Personalausweise ausstellt, heißt es in einem Bericht der Vereinten Nationen. Sie wurden im In- und Ausland für die Anwendung extremer Taktiken kritisiert.

Es bleiben viele Fragen darüber offen, welche Art von Regierung Herr al-Jolani unterstützen würde und ob das syrische Volk sie akzeptieren würde. In Idlib unterstützt Hayat Tahrir al-Sham eine Regierung, die sich an einer konservativen und teilweise radikalen sunnitisch-muslimischen Ideologie orientiert.

Seit Beginn der Rebellenoffensive versucht Herr al-Jolani, Minderheiten anderer Sekten und Religionen zu beruhigen. Einige Analysten meinen, er stehe nun vor der Prüfung seines Lebens: ob er das syrische Volk vereinen könne.

Herr Drevon verglich die Situation, mit der Herr al-Jolani konfrontiert ist, mit der anderer Kriegsführer, wie etwa dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.

„Selenskyj wurde schon vor dem Ukraine-Krieg kritisiert, dann wurde er Politiker. Die Frage ist, ob Jolani den gleichen Wandel vollziehen kann“, sagte Drevon.